Ein Beitrag von Jens-Martin Rode

Eine Antwort kann man das nicht nennen: Mittlerweile hat die Berliner Senatsverwaltung für inneres und Sport auf den offenen Brief an Innensenator Geisel wegen der Ausstellung von Passersatzpapieren an Geflüchtete aus Syrien reagiert. Doch statt einer inhaltlichen Auseinandersetzung mit den gut begründeten Argumenten der InitiatorInnen enthält das Schreiben lediglich einen formellen Verweis auf die geltende Rechtslage. Mitte Oktober hatte sich ein breiter Kreis an Initiativen und Organisationen aus dem Bereich der Flüchtlingshilfe die Rücknahme der Änderung einer Verfahrenspraxis bei der Ausstellung von Passersatzpapieren gefordert, nach der Geflüchtete aus Syrien nun die Botschaft von Assad aufsuchen müssen, um ihre Reisepässe neu ausstellen zu lassen. Dass die Senatsinnenverwaltung den offenen Brief lediglich mit einer Zusammenfassung der derzeitigen Sachlage abtut, anstatt inhaltlich darauf einzugehen, wirft ein bezeichnendes Licht auf den Umgang der Berliner Landesregierung unter R2G mit Geflüchteten und der Zivilgesellschaft.
Nichts Neues von Geisel: Berliner Senatsverwaltung für Inneres und Sport tut offenen Brief mit lapidarem Verweis auf Rechtslage ab
Die Reaktion der Senatsverwaltung enthält keinerlei inhaltliche Auseinandersetzung mit den gut begründeten Argumenten des offenen Briefes: Sie referiert lediglich die derzeitige Sachlage, nach der Schutzsuchende aus Syrien, die “nur” über einen subsidiären Schutzstatus verfügen, seit Mai 2018 auch in Berlin einen neuen Reisepass bei der syrischen Botschaft beantragen müssen, wenn dieser abgelaufen ist oder abzulaufen droht. Wer nicht zur syrischen Botschaft gehen kann oder möchte, muss eine Unzumutbarkeit jeweils individuell glaubhaft machen. Zur Erinnerung: Bis Mai 2018 ist die Ausländerbehörde in Berlin noch pauschal von einer Unzumutbarkeit der Passbeschaffung bei allen Geflüchteten aus Syrien ausgegangen und hatte Reisepässe für Ausländer als Ersatzdokumente ausgestellt. Die Verfahrensänderung geht auf eine Initiative des Bundesinnenministeriums unter Horst Seehofer zurück:
“Hintergrund der geänderten Verfahrensweise ist, dass das Bundesministerium des Inneren, für Bau und Heimat eine bundeseinheitliche Verfahrenspraxis für syrische Staatsangehörige angemahnt hatte. Die Ausländerbehörde Berlin folgt mit der aktuellen Praxis nunmehr dem angewandten Verfahren der anderen Bundesländer und dem bundesweit geltenden Aufenthaltsrecht. Danach kann einem Ausländer gemäß §5 der Aufenthaltsverordnung - AufenthV - nur dann ein deutscher Passersatz in Form eines Reiseausweises für Ausländer ausgestellt werden, wenn ein Pass oder Passersatz bei den Heimatbehörden nachweislich nicht auf zumutbare Weise erlangt werden kann.”
Auch der Berliner Senat weiß, dass der Zwang zu einer persönlichen Vorsprache bei der syrischen Botschaft in Berlin Geflüchtete aus Syrien vor existentielle Probleme stellt. Denn sie nennt einen ganzen Katalog an Gründen, bei denen sie davon ausgeht, dass ein Besuch der Botschaft unzumutbar ist. Dennoch beharrt sie auf einer individuellen Einzelfallprüfung:
“Die Unzumutbarkeit der Passbeschaffung muss nunmehr auch bei syrischen Staatsangehörigen in jeden Einzelfall im Rahmen der Mitwirkungspflichten nach §82 Abs. 1 AufenthG nachweislich begründet oder ggf. glaubhaft gemacht werden. So wurde indessen nach Hinweisen des Bundes in den Verfahrenshinweisen der Ausländerbehörde Berlin festgelegt, dass von einer Unzumutbarkeit der Passbeschaffung für ehemalige Mitarbeiter der syrischen Polizei, desertierten Soldaten, ehemaligen Beamten, sowie syrischen Oppositionsmitgliedern und ihren jeweils begleitenden minderjährigen Kinder und Ehegatten auszugehen ist. Eine Ausnahme von der Zumutbarkeit gilt auch für syrische Staatsangehörige im subsidiären Schutz, die die Ableistung des Wehrdienstes verweigert und in Syrien lebende Angehörige haben. Die Ausländerbehörde Berlin prüft und entscheidet die Zumutbarkeit der Passbeschaffung bezogen auf den Nachweis bzw. die Glaubhaftmachung immer einzelfallbezogen.”
Dokumentiert: Das Antwortschreiben im Wortlaut
Quelle: Antwortschreiben der Berliner Senatsverwaltung für Inneres und Sport vom 27.11.2018 auf den offenen Brief an Innensenator Andreas Geisel bezüglich der Ausstellung von Passersatzpapieren an Geflüchtete aus Syrien
Bereitet der Berliner Senat die Normalisierung im Umgang mit dem Regime von Assad vor?
Über den Charakter des syrischen Staates gibt es wenig Zweifel. So dokumentieren die Berichte von amnesty international über das Foltergefängnis Saydnaya und die als Ceasar-Fotos bekannt gewordenen Belege für Massenverbrechen, dass das Regime von Baschar al-Assad Folterzentren und Vernichtungslager in industriellem Maßstab betreibt. Auch die mit dem Ziel der Strafverfolgung betriebene Arbeit des ECCHR und die hervorragende Kampagne der Families for Freedom liefern nahezu täglich neue Erkenntnisse über den syrischen Staatsterror. Allein die Zahl der dokumentierten Verschwundenen des syrischen Repressionsapparates beträgt laut Families for Freedom über 100.000 Menschen. Selbst der Lagebericht des Auswärtigen Amtes zeichnet von Syrien ein düsteres Bild: Anders als es syrische und russische Propaganda glauben machen will, gibt es nirgendwo in Syrien einen sicheren Ort, der frei von staatlicher Verfolgung ist.
Sowohl die Bundesregierung als auch der Berliner Senat bereiten aber derzeit offenbar den Weg für eine Normalisierung der Beziehungen zum syrischen Regime vor. Wie anders wäre es sonst zu erklären, dass die Bundesregierung keinerlei Probleme damit hat, dass der syrische Staat jeweils mehrere hundert Euro an Gebühren für die Ausstellung eines neuen Reisepasses an syrische Staatsbürger verlangt? Die Bundesrepublik Deutschland und das Bundesland Berlin betätigen sich als Mithelfer, wenn es darum geht, die auf internationaler Ebene verhängten Sanktionen gegen das Regime von Baschar al-Assad zu umgehen und versorgen den syrischen Staat mit frischem Geld in harten Devisen. Besonders bizarr: Da ein erheblicher Anteil der Geflüchteten aus Syrien auf Transferleistungen angewiesen ist, sind es deutsche Steuergelder, welche Betroffene nun in die syrische Botschaft tragen müssen. Bei über 700.000 in Deutschland lebenden Geflüchteten aus Syrien kommen bei einem syrischen Pass, der nur zwei Jahre gültig ist, aber mindestens 255 Euro kostet, in wenigen Jahren dreistellige Millionenbeträge zusammen.
Mit der auf Druck von Bundesinnenminister Seehofer im Mai 2018 auch in Berlin durchgeführten Verfahrensänderung bei der Erteilung von Passersatzpapieren an Geflüchtete aus Syrien spielt nun auch der Berliner Senat das Spiel mit und begünstigt das Regime von Baschar al-Assad. Aufgrund der allgemein geltenden Passpflicht müssen Geflüchtete aus Syrien im Besitz eines gültigen Personaldokuments sein. Bis Mai 2018 ist die Ausländerbehörde in Berlin noch pauschal davon ausgegangen, dass es für alle Geflüchteten aus Syrien hingegen unzumutbar ist, zur Erlangung eines syrischen Passes die syrische Botschaft aufzusuchen. Nun gilt dies nicht mehr für die Gruppe der Geflüchteten mit subsidiären Schutzstatus. Diese müssen nun Nachweise erbringen, dass sie die Botschaft von Assad nicht aufsuchen können. Doch entsprechende Stellungnahmen werden in der Praxis von der Ausländerbehörde oft gar nicht erst zur Kenntnis genommen. Für die Betroffenen ist dies ein Teufelskreis, der immer mehr Menschen betrifft. Denn obwohl sich die Lage in Syrien stetig verschlimmert, bekommen nicht einmal mehr die Hälfte der in Deutschland Schutz suchenden Menschen aus Syrien den "vollen" Flüchtlingsschutz nach der Genfer Flüchtlingskonvention zugesprochen.
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