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Hartz IV gekürzt wegen Assad? Mitwirkungspflicht bei der Passbeschaffung wird für Geflüchtete zum Armutsrisiko

Ein Beitrag von Jens-Martin Rode

Jobcenter könnten die Kosten für die Passbeschaffung künftig nur noch als Darlehen übernehmen. Für die Rückzahlung wird dann der Regelsatz gekürzt.
Eingangportal Jobcenter Pankow - Foto: Jens-Martin Rode

Eine Gerichtsentscheidung des Bundessozialgerichts in Kassel vom 12. September 2018 birgt sozialpolitischen Sprengstoff: Die Richter hatten in einem Verfahren darüber zu urteilen, ob das Jobcenter die Kosten für die Beschaffung eines gültigen Passes des Heimatlandes als Mehrbedarf übernehmen muss. Das Gericht hatte dieses verneint. Geklagt hatte ein Mitbürger türkischer Herkunft. Diese Entscheidung könnte jedoch auch Auswirkungen für die vielen in Deutschland lebenden Flüchtlinge syrischer Herkunft haben. Denn vor allem die Gruppe der Geflüchteten mit subsidiärem Schutzstatus ist dazu verpflichtet, gültige Papiere bei der syrischen Botschaft in Berlin zu beantragen. Die hohen Kosten von mindestens 225 Euro könnte das Jobcenter nun nur noch als Darlehen gewähren, welches die Betroffenen dann durch Kürzung des Regelsatzes zum Lebensunterhalt zurückzahlen müssten. 

Absurder Zwang zum Botschaftsgang: Mitwirkungspflicht bei der Passbeschaffung

Menschen mit nichtdeutscher Staatsangehörigkeit, die sich in Deutschland aufhalten, sind grundsätzlich dazu verpflichtet, im Besitz eines gültigen Passes ihres Heimatlandes zu sein. Geflüchtete sind allerdings von dieser Regelung ausgenommen. Denn ihnen ist es logischerweise nicht zuzumuten, ausgerechnet die Institution eines Staates aufzusuchen, vor dessen Verfolgung sie ja in Deutschland Schutz suchen. Diese Ausnahme gilt allerdings nur für Geflüchtete, die als Asylbewerber die Flüchtlingseigenschaft zugesprochen bekommen haben. Haben sie während des Anhörungsverfahrens "nur" einen subsidiären Schutzstaus erhalten, dann müssen sie in jedem individuellen Fall selbst nachweisen, dass für sie eine Vorsprache bei der Botschaft ihres Heimatlandes nicht zumutbar ist. Von einer generellen Unzumutbarkeit wird nicht ausgegangen. Akzeptieren Ämter die Einwände der Betroffenen nicht, stellt das viele Menschen vor existentielle Probleme. Denn einen gültigen Pass benötigen sie in den unterschiedlichen Lebenslagen. 

Der teuerste Pass der Welt: Wie das Assad-Regime über erhöhte Gebühren seinen Krieg finanziert

Der syrische Pass läuft alle zwei Jahre ab und wird von der syrischen Botschaft in Berlin neu ausgestellt. Die Gebühren dafür belaufen sich auf mindestens 255 Euro. 725 kostet er mit Express-Zuschlag. Dazu kommen noch Reise- und Übernachtungskosten. Bei 700.000 Syrerinnen und Syrern in Deutschland kann das Regime mit immensen jährlichen Einnahmen rechnen, obwohl gegen das Regime wegen des Krieges gegen die eigene Bevölkerung und zahlreicher Massenverbrechen international Sanktionen verhängt worden sind. Die von deutschen Behörden auferlegte Pflicht, überteuerte Gebühren für die Beschaffung von Dokumenten bezahlen zu müssen, stabilisiert das diktatorische Regime in Damaskus und hält es am Leben.

Kürzung des Regelsatzes zur Finanzierung des Regimes in Damaskus

Ein Skandal ist dies nicht nur deshalb, weil Geflüchtete dazu genötigt werden, auch noch Geld an das Regime zu bezahlen, vor dessen Verbrechen sie geflohen sind: Viele der in Deutschland Schutzsuchenden leben von den an Hartz IV angelehnten Leistungen zum Lebensunterhalt. Der Krieg von Baschar al-Assad wird auf dem Umweg erzwungener überhöhter Gebühren auch von öffentlichen Geldern aus Deutschland finanziert. Die perfide Auswirkung des oben genannten Urteils ist zudem die, dass Jobcenter in Zukunft die Kosten für die von deutschen Behörden geforderte Beschaffung von syrischen Pässen nicht einfach als Mehrbedarf übernehmen werden. Sie werden dafür ein Darlehen gewähren, welches die Betroffenen dann durch eine Kürzung des Regelsatzes um monatlich 10% bzw. ca. 40 Euro abzahlen müssen. Dieses Geld fehlt dann, z.B. für die Beschaffung von Schulheften oder Winterschuhen für die Kinder. Auf die kurze Formel gebracht: HartzIV-Kürzung wegen Assad.   

Warum der Berliner Senat jetzt die Passregelung ändern muss

Bei den Aufenthaltsbestimmungen handelt es sich um bundesweite Gesetzgebung. Dennoch sind aber die Bundesländer nicht ganz unbeteiligt. In Berlin zum Beispiel hatte die Ausländerbehörde bis Mai 2018 "Reisepässe für Ausländer" als Ersatzdokumente auch für Geflüchtete aus Syrien mit subsidiärem Schutzstatus ausgestellt. Ab Mai 2018 hat sie diese Praxis aber auf Druck des Bundesinnenministeriums von Horst Seehofer geändert. Im Zusammenhang mit den Beratungen einer bundesweiten Arbeitsgruppe der großen Ausländerbehörden der Bundesländer hatte das BMI eine einheitliche Verfahrenspraxis angemahnt. Dem hat die Ausländerbehörde in Berlin in Abstimmung mit der Senatsverwaltung für Inneres und Sport entsprochen. Ein entsprechender Passus, welcher die Ausnahme für Geflüchtete aus Syrien hinsichtlich der Zumutbarkeit der Passbeschaffung vorsah, ist in den Verfahrenshinweisen für die Ausländerbehörde Berlin nicht mehr zu finden.

 

Jetzt ist Berlin am Zug Der Berliner Senat muss mit einer erneuten Änderung der Berliner Verfahrenspraxis zu Gunsten der Betroffenen diesen untragbaren Zustand abschaffen. Dazu braucht es jetzt den entsprechenden Druck aus der Bevölkerung!   

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