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255 Euro für einen Pass: Zwang zur Passerneuerung für Geflüchtete aus Syrien ist laut Bundesregierung angemessen

Ein Beitrag von Jens-Martin Rode

Protestaktion Berliner AktivistInnen vor der Ausländerbehörde in Berlin im Sommer 2018
Kein Geld für Völkermordbotschaften - Foto: Klaus Ihlau

255 Euro Minimum kostet ein syrischer Pass. Diese Summe ergibt sich aus einer Aufstellung der Gebühren für die Neuausstellung von Reisepässen, welche die syrische Botschaft in Berlin für Mitbürgerinnen aus Syrien erhebt. Die Bundesregierung hält diesen Betrag laut Antwort auf eine kleine parlamentarische Anfrage der Bundestagsfraktion der Partei die Linke für angemessen. Demnach liege es ganz im Ermessen souveräner Staaten für die eigenen Staatsangehörigen Passpapiere auszustellen und dafür Gebühren zu verlangen. Doch das, wogegen die Bundesregierung offenbar keinerlei Einwände kennt, hat bittere Folgen: Das Geld, welches der syrische Staat mit überhöhten Passgebühren einnimmt, fließt unmittelbar in die Kriegskasse des Regimes von Baschar al-Assad. Können oder wollen Menschen, die in Deutschland vor dem syrischen Regime Schutz suchen, die syrische Botschaft nicht für die Erneuerung der Pässe aufsuchen, geraten sie schnell in die Mühlen der deutschen Bürokratie.  

Trotz Sanktionen: Wie das syrische Regime mit überhöhten Passgebühren den Krieg gegen die eigene Bevölkerung finanziert

Der Pass, den der syrische Staat als Identitätsnachweis für seine Bürgerinnen und Bürger ausstellt, hat eine Gültigkeit von lediglich zwei Jahren. Die syrische Botschaft in Berlin verlängert derzeit Reisepässe nicht mehr, sondern stellt diese jeweils neu aus. Dabei gelten folgende Gebühren:

  • 255 Euro: Ersatz eines abgelaufenen Reisepasses
  • 300 Euro: Ersatz eines beschädigten Reisepasses
  • 300 Euro: Ersatz eines verlorenen Reisepasses
  • 255 Euro: Erstmalige Ausstellung eines Reisepasses
  • 680 Euro: Express-Reisepass
  • 725 Euro: Express-Reisepass bei verlorenem oder beschädigtem Reisepass

(Quelle: Antwort der Bundesregierung auf die kleine parlamentarische Anfrage der Abgeordneten Ulla Jelpke, Dr. André Han, Gökay Akbulut und weitere Abgeordneter der Fraktion DIE LINKE vom 16.08.2018, Deutscher Bundestag, Drucksache 19/3844, Vorabfassung, Berlin 2018)

 

Obwohl gegen das syrische Regime von Baschar al-Assad seit 2011 zahlreiche internationale Sanktionen verhängt worden sind, kann sich das Regime in Damaskus durch die Erhebung von Gebühren über eine sprudelnde Einnahmequelle freuen. Nimmt man den hier aufgelisteten Minimalbetrag von 255 Euro zur Grundlage, kann das Regime theoretisch bei ca. 700.000 in Deutschland lebenden Syrerinnen und Syrern und einer Gültigkeit des Passes von nur zwei Jahren mit einem Betrag von mindestens knapp 90 Mio. Euro pro Jahr rechnen. 

 

Der Bundesregierung muss bekannt sein, dass mit diesem Betrag in Syrien keine Straßen gepflastert oder Schulen gebaut werden, sondern dass das Regime damit seinen seit über sieben Jahre andauernden Krieg gegen die eigene Bevölkerung finanziert. Obwohl die Gebühren für die Ausstellung von Pässen beim syrischen Staat "vergleichsweise etwas höher" lägen,  hält die Bundesregierung diese noch für angemessen:

 

"Jedem Staat steht aufgrund seiner völkerrechtlichen Personal- und Passhoheit das souveräne Recht zu, für eigene Staatsangehörige Passpapiere auszustellen und dafür Gebühren vorzusehen. In Folge dessen wird es nach geltendem deutschen Recht grundsätzlich als zumutbar betrachtet, für behördliche Maßnahmen die vom Herkunftsstaat festgelegten Gebühren zu entrichten (...)  Ausländer unterliegen in Deutschland der Passpflicht, die aus Sicht der Bundesregierung eine wesentliche Bedeutung hat (z.B. Nachweis von Personenidentität, Staatsangehörigkeit, Rückkehrberechtigung). Eine Alternative zur Mitwirkung eines Ausländers, einen anerkannten und gültigen Pass zu erlangen, wird im Rahmen der geltenden Rechtslage nicht gesehen." (Quelle: Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage, ebd., S. 2f)

 

Deutsche Behörden nötigen Geflüchtete aus Syrien, die syrische Botschaft in Berlin aufzusuchen

Syrische Pässe laufen alle zwei Jahre ab. Da der deutsche Gesetzgeber aber vorsieht, dass grundsätzlich jeder Mensch in Deutschland im Besitz eines gültigen Passes sein muss, fordern deutsche Behörden Menschen aus Syrien zunehmend dazu auf, ihre Reisepässe bei der syrischen Botschaft verlängern zu lassen. Ein gültiges Personaldokument ist oft Voraussetzung für die unterschiedlichsten Dinge des Alltags: Von der Ausstellung eines Bibliotheksausweises, der Einschulung der Kinder bis hin zur Beantragung der Hilfe zum Lebensunterhalt beim Jobcenter ist die Vorlage eines gültigen Passes obligatorisch. Läuft die Gültigkeit ab, werden Menschen aus Syrien von Deutschen Behörden grundsätzlich dazu angehalten, ihren Reisepass bei der syrischen Botschaft in Berlin erneuern zu lassen.

Keine automatische Unzumutbarkeit für Flüchtlinge mit subsidiärem Schutzstatus

Syrerinnen und Syrer, die vor dem Regime von Baschar al-Assad nach Deutschland geflohen sind, sind allerdings davon ausgenommen. Denn bei ihnen wird davon ausgegangen, dass ein Besuch der Botschaft des Staates, vor dessen Verfolgung sie Schutz suchen, nicht zuzumuten ist. Sie bekommen von der örtlichen Ausländerbehörde einen "Reisepass für Ausländer" als Ersatzdokument ausgestellt, mit dem sie ihre Identität nachweisen, Behördengänge tätigen und eben auch verreisen können.

 

Diese Ausnahme gilt allerdings nur für Schutzsuchende, die als Asylsuchende oder als Flüchtlinge nach der Genfer Flüchtlingskonvention anerkannt sind. Nicht anerkannte Flüchtlinge, die z.B. "nur" einen subsidiären Schutzstatus haben, müssen hingegen an der Beschaffung gültiger Personaldokumente aktiv mitwirken oder anderenfalls nachweisen, dass in ihrem individuellen Fall ein Besuch der Botschaft nicht zumutbar ist. Sie bekommen nicht automatisch den "Reisepass für Ausländer" ausgestellt, sondern müssen sich mit einem nur kurze Zeit gültigen "Ausweisersatz" oder einer "Fiktionsbescheinigung" zufrieden geben. Reisen ist damit unmöglich. Theoretisch müssen Behörden wie das Jobcenter auch diese Dokumente für die Bearbeitung von Anträgen akzeptieren. In der Praxis kommt es jedoch häufig zu Schwierigkeiten und vollkommen unnötigem bürokratischen Aufwand. 

In die Mühle der Bürokratie getrieben

Wie im Einzelfall der Zwang zum Botschaftsgang aussieht, macht das in der Antwort in der Bundesregierung auf die kleine Anfrage der Linken aufgeführte Beispiel deutlich: Eine Mutter mit dreijährigem Kind war im Zuge des Familiennachzugs 2016 nach Deutschland gekommen. Da der syrische Pass im Mai 2018 abgelaufen war, hatte das Jobcenter die Sozialleistungen für die ganze Familie ab Juni 2018 nicht mehr bewilligt. Deshalb musste sie für die Ausstellung der Pässe in der syrischen Botschaft 510 Euro in Bar an den syrischen Staat zahlen. 30 Euro pro Pass kamen für den postalischen Versand noch einmal hinzu. (Vgl.: Antwort der Bundesregierung, ebd., S.1)

 

Für die Vorlage eines gültigen syrischen Passes bei deutschen Behörden gibt es sachlich gar keine Notwendigkeit: Die Identität der Person ist ja bereits während des Aufnahmeverfahrens geprüft worden. Deshalb hätte das Jobcenter für die Weiterbewilligung von Leistungen schlicht und einfach die Anschrift im Melderegister und den Aufenthaltstitel zur Grundlage nehmen können. Gegen die Leistungsverweigerung Widerspruch einzulegen und zusätzlich noch die Erstattung des bei der syrischen Botschaft bezahlten Geldes, welches nun für den Lebensunterhalt fehlt,  beim Jobcenter zu beantragen, kostet - bei ungewissem Ausgang - nicht nur Zeit und Nerven. Für Menschen, die vor dem syrischen Regime in Deutschland Schutz suchen, ist es eine Demütigung, das Regime auch noch für die Verbrechen in Syrien bezahlen zu müssen, nur weil Behörden in Deutschland das für banale Verwaltungsvorgänge so vorsehen. 

Mit vorauseilendem Gehorsam zum Wiederaufbau der Assad-Diktatur?

Diese institutionelle Zuarbeit für das repressivste Regime der Gegenwart geschieht in voller Kenntnis der Realität in Syrien: Das Regime von Baschar al-Assad verfolgt politische Gegner nicht nur und lässt sie verschwinden, es betreibt Foltergefängnisse in industriellem Maßstab. Mehr als 80.000 Menschen sitzen in den Haftanstalten des Regimes fest. Unzählige sind bereits unter Folter gestorben. Die berühmt gewordenen Ceasar-Fotos oder die Recherchen von Menschenrechtsorganisationen über das berüchtigte Gefängnis Saydnaya legen beredtes Zeugnis ab über den Charakter des Regimes in Damaskus. 

 

Die Bundesregierung sieht offenbar keine Veranlassung, von einer Zusammenarbeit mit dem Regime auf dem Verwaltungswege abzusehen. Jeder Cent, den dieses Regime erhält, verlängert aber die Zeit, in der Assad an der Macht bleibt und untergräbt die Wirkung der in Kraft stehenden Sanktionen gegen das Regime und seine Repräsentanten. Die Bundesregierung begründet ihre Haltung mit der völkerrechtlichen Souveränität des Staates Syrien, ohne jedoch in Rechnung zu stellen, dass nach dem Prinzip der Schutzverantwortung die Souveränität eines Staates an die Verpflichtung gebunden ist, die jeweilige Bevölkerung vor Massenverbrechen und schweren Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu schützen. 

 

Die Bundesrepublik Deutschland könnte hier mit sehr geringem Aufwand zumindest einen Teil der Geldströme unterbinden, die das syrische Regime noch am Leben erhalten. Sie könnte den in Deutschland lebenden Menschen im Exil ein normales Leben ermöglichen und diese ersatzweise mit funktionierenden Personaldokumenten ausstatten, bis es in Syrien die Perspektive auf einen politischen Übergang und einen Wiederaufbau des Landes ohne das Regime von Baschar al-Assad gibt. Mit einem wirklichkeitsfernen Aufenthaltsrecht tut Deutschland genau das Gegenteil. Ohne auch nur eine Bedingung zu stellen, arbeitet unser Land dem Regime in Damaskus auch noch zu und bereitet durch vorauseilenden Gehorsam den Boden für eine Normalisierung der Beziehungen und den Wiederaufbau des Landes mit Assad. Das ist ein Skandal.   

Stoppt den Zwang zum Botschaftsgang! Kampagne in Berlin gestartet

In Berlin regt sich Widerstand: Das Netzwerk 4syrebellion aus AktivistInnen mit und ohne syrischen Wurzeln organisiert derzeit eine Kampagne gegen diese Pass-Regelung. Unter dem Motto "Kein Geld für Völkermordbotschaften!" wollen sie in einem ersten Schritt diese Regelung in Berlin kippen. Denn in der Hauptstadt hatte die Ausländerbehörde anders als in anderen Bundesländern bis Mai 2018 "Reisepässe für Ausländer" auch an Geflüchtete mit subsidiärem Schutzstatus ausgegeben. Doch auf Druck des Bundesinnenministeriums hatte sie diese Praxis im Frühjahr zu Ungunsten der Betroffenen geändert.

 

Zwar geht es bei der Aufenthaltsgesetzgebung um bundesweites Recht. Dennoch erarbeitet auch das Land Berlin Verfahrenshinweise zur konkreten Umsetzung des Rechts vor Ort. Die Kampagne will zunächst die Handlungsspielräume in Berlin nutzen, zugleich aber auch eine Strategie entwickeln, bundesweit den Zwang zum Botschaftsgang zu beenden.