Sie haben es wieder getan: Tierschutzskandale bei Wiesenhof 2020

Wird Wiesenhof "beyond meat"? Der Fleischgigant gab sich auch 2020 mehr denn je ein grünes Image und versuchte durch Nachhaltigkeitsinitiativen, zunehmender Vermarktung von Fleischalternativen und der immer wiederkehrenden Behauptung, die Tierhaltung orientiere sich an höchsten Tierwohlstandards, von der Realität abzulenken. Doch Tierrechts- und Bürgerinitiativen zeichnen ein anderes Bild. 2020 war für die PHW-Gruppe vor allem ein Jahr der Tierschutzskandale. Zahlreiche Beispiele zeigen: Das System Wiesenhof bedeutet Tierleid im industriellen Maßstab. Die von Tierrechtsgruppen aufgedeckten Missstände sind der ganz gewöhnliche Alltag eines Konzerns, der wie kaum ein anderer Inbegriff für das Schlagwort Massentierhaltung ist. Das gilt auch und insbesondere für den Wiesenhof-Schlachthof in Niederlehme, einem Ortsteil von Königs Wusterhausen in Brandenburg.   

 

Regel und nicht die Ausnahme: Neuer Tierschutzskandal in Sachsen Anhalt im Dezember 2020

 

Wie aus einem Bericht der Süddeutschen Zeitung vom 11. Dezember hervorgeht, steht Wiesenhof zum Jahresende erneut vor einem Tierschutzskandal. Verstörende Filmaufnahmen der Tierrechtsorganisation Animal Equality geben einen erschütternden Einblick in den Alltag einer Wiesenhof-Mastanlage im sachsen-anhaltinischen Karith-Pöthen, die mit einer versteckten Kamera gemacht worden sind (animalequality, 2020). Die Brutalität, mit der Mitarbeiter des Wiesenhof-Zulieferers mit den Tieren umgehen, scheint bei einer Vertragsfirma des größten deutschen Geflügelproduzenten ganz normaler Arbeitsalltag zu sein. Hochgezüchtete Leistungsrassen werden zu tausenden in wenigen Wochen bis zur Schlachtreife gepäppelt. Schwache und kränkliche Tiere zu behandeln wäre zu kostenintensiv. Folglich werden sie aussortiert, nicht fachgerecht getötet, durch die Gegend getreten und weggeworfen. Manch ein verendetet Tier verwest zwischen den Artgenossen, bis der Mastdurchgang ausgestallt wird. Insgesamt macht die Anlage einen hygienisch bedenklichen Eindruck (Bovensiepen, 2020).     

 

Qual durch die Republik: 600 Kilometer Tiertransport bis nach Brandenburg 

 

Der Schlachtkonzern Wiesenhof wirbt mit dem Slogan "Deutsches Geflügel von regionalen Höfen". Das ist durchaus zutreffend. Die Höfe bleiben in der Region, die Hühner allerdings nicht. Haben die Tiere die Brutalität der Mastanlage einmal überlebt, geht es auf den langen Weg zum Schlachthof. Abertausende Hühner werden quer durch das Land gefahren, weil es eben billiger ist. Nach einem Bericht der Süddeutschen Zeitung liegen zwischen dem "Hof" mit zehntausenden Tieren und der Schlachtfabrik oft bis zu 600 Kilometer (Groß, 2020). "Regionalität" ist dabei reiner Etikettenschwindel und nichts als Marketing-Sprech. Damit das Hähnchen so billig wie möglich in der Tiefkühltruhe angeboten werden kann, kalkuliert der Milliardenkonzern tagesaktuell zwischen Transportkosten, die bei großen Stückzahlen im 100.000'er Bereich wenig ins Gewicht fallen, und der effizienten und damit rentablen Auslastung der in ganz Deutschland verteilten industriellen Schlachtanlagen. 

 

Für die Tiere bedeutet das kurzgesagt "Stress". Genauer gesagt: Es ist reine Quälerei. Die Fahrten gehen auch im Hochsommer stundenlang über hunderte von Autobahnkilometern. Ohne Wasser und ohne Futter sind die Tiere dann schnell Temperaturen von über 30 Grad ausgesetzt. Branchenweit gilt eine Verlustquote auf dem Weg zum Schlachthof bis 0,5 Prozent als normal und gelegentliche Überschreitungen als durchaus üblich. Verletzungen, Hämatome, Frakturen und ausgerenkte Gliedmaßen hängen von der Art der Verladung ab. Auch hier zeigen heimlich gefilmte Videos die alltägliche Brutalität der Arbeit im "System Wiesenhof" (Groß, 2020).

 

Die Tierrechtsorganisation SOKO Tierschutz hat im Jahr 2020 diese Art der Anlieferung von Geflügel zum Schlachthof Niederlehme, einem Ortsteil von Königs Wusterhausen nahe Berlin, durch Begleitfahrten dokumentiert. Ein sehenswerter Beitrag der ZDF Magazinsendung WISO zeigt zudem: Tiertransporte von vielen hundert Kilometern sind nicht nur gängige Praxis. Im Schlachthof Niederlehme landen auch Lieferungen aus Zulieferbetrieben, die normalerweise als "Privathof"-Betriebe unter dem Tierwohllabel oder mit dem vom deutschen Tierschutzbund verantworteten Label "Für mehr Tierschutz" produzieren. Normalerweise sind für diesen Betrieb aber Tiertransporte von maximal 4 Stunden vorgesehen. Bei Anlieferungen nach Niederlehme in Brandenburg kann diese Vorgabe aber gar nicht eingehalten werden. In der Praxis werden die Tiere aus den selben Höfen dann eben einfach als ganz normales Geflügel vermarktet. Im Umkehrschluss bedeutet das aber: Das "mehr" an Tierschutz, welches der deutsche Tierschutzbund mit seinem Label hier zertifiziert, findet bei einem Teil der Tiere in den vom Tierschutzbund zertifizierten Mastanlagen von Wiesenhof gar nicht statt (Helmer & Pecanic, 2020). "Tierwohl" ist bei Wiesenhof reiner Etikettenschwindel.  

 

Von wegen "Tierwohl": Realität am Rande des Schlachthofs

 

Wer Tierquälerei sucht, braucht nicht 600 Kilometer zu reisen. Das alltägliche Grauen zeigen auch Bilder aus dem unmittelbaren Umfeld der Schlachtanlage in Niederlehme. Videoaufnahmen der Tierrechtsorganisation SOKO Tierschutz, die von einem Zeitraum ab Herbst 2019 stammen, zeigen, was Sache ist: Auch in Königs Wusterhausen produziert Wiesenhof nach den Richtlinien der Initiative Tierwohl (SUPER.MARKT, 2020). Jenseits der Werbebotschaft bedeutet das konkret: Sterbende Tiere und verwesende Kadaver im Stall, Tiere, die nicht ans Wasser kommen, ein Kadaver wird einfach über die Türklinke gehängt und Arbeiter töten vermeintlich schwache und kranke Tiere ohne Betäubung per Genickbruch. In Zernsdorf, in unmittelbarer Nachbarschaft zur Schlachtanlage in Niederlehme, vegetieren ca. 1 Million Hühner in 40 Hallen versteckt in einem Waldgebiet. Betrieben werden diese Anlagen im Auftrag des PHW-Konzerns von scheinbar selbständigen Vertragsmästern (Racoon, 2020).

 

Und wie reagiert Wiesenhof?  Der PHW-Konzern geht öffentlichkeitswirksam in die Offensive, in dem er gegen die vermeintlich "schwarzen Schafe" vorgeht und selbst Strafanzeige erstattet. Schuld sei nicht der Konzern, sondern eben die Vertragsmäster, die sich einfach nicht an die Vorgaben und die Schulungsinhalte gehalten hätten. Denen wird dann gekündigt. Doch neue Vertragsunternehmer für die selben Mastanlagen finden sich schnell. Das System läuft weiter wie gehabt. Die Verantwortung für das Geschehen in den Mastanlagen wird dabei auf die scheinbar selbständigen Vertragsmäster abgewälzt (Racoon, 2020).

 

Doch die Verantwortung liegt im System Wiesenhof, das auch unter "Tierwohlkriterien" daraus besteht, dass hochgezüchtete Hühnerrassen in möglichst kurzer Zeit möglichst viel an Gewicht zulegen. Innerhalb von 38 Tagen sind das täglich 60 Gramm oder mehr. Kein Wunder, dass die Tiere ihr eigenes Gewicht nicht mehr tragen können und darunter zusammenbrechen. Zudem werden den Tieren die Erfüllung von Grundbedürfnissen, wie Scharren, Erkunden der Umgebung, Aufbau eines sozialen Gefüges, Picken und Bewegungsfreiheit verwehrt. All das passt nicht in das Konzept einer Hühnerhaltung, die mit dem Produkt Geflügelfleisch ja schließlich Milliardenumsätze macht. Am Ende teilen sich 23 Hühner einen Quadratmeter auf ihren eigenen Exkrementen und den Kadavern ihrer Artgenossen. Knochenbrüche, Fehlbildungen und Organschäden sind keine Seltenheit bei diesem Turbowachstum (Racoon, 2020). 

 

Bürgerinitiative deckt auf: Wiesenhof schachtet mehr als erlaubt

 

Dieses Bild bestätigen auch Recherchen der Bürgerinitiative KW stinkt's (Blackbox Wiesenhof, 2020): Laut einer Bürgeranfrage nach Offenlegung der veterinäramtlichen Kontrollberichte hatte Wiesenhof im  Schlachthof Niederlehme immer wieder mehr geschlachtet als erlaubt. Die Berichte aus dem Zeitraum von Oktober 2018 bis Dezember 2019 enthalten die Dokumentation zu den angelieferten Tieren, deren Gewicht, die Anzahl der geschlachteten Tieren, die verendeten Tiere beim Transport auf dem Weg zum Schlachthof und auch Gesundheitsinformationen, z.B. wie viele Tiere an einer tiefen Dermatitis gelitten hatten. Auch die Tiere, die mastbedingt oder im Schlachthof selbst "verworfen" wurden, sind dokumentiert (Blackbox Wiesenhof, 2020). 

 

Nach einer Auswertung der Bürgerinitiative wurden im Jahr 2019 insgesamt 37.775.699 Tiere in Niederlehme angeliefert. Davon starben 81.325 Tiere auf dem Transport. Bei 282.043 Tieren wurde eine tiefe Dermatitis festgestellt. 824.310 Tiere wurden "verworfen". Die Gründe dafür liegen dabei bei 608.790 Tieren beim Mäster und in 215.520 Fällen beim Schlachthof. An zehn heißen Sommertagen bei Temperaturen über 32 Grad starben allein auf dem Transport 1.110 Tiere. Auch an kalten Tagen mit Temperaturen von - 5 Grad war die Sterblichkeit signifikant höher. Insgesamt sind 2,1 % der am Schlachthof angelieferten Hühner nicht verwertet worden. In der Branche gelten derartige Werte als durchaus normal. Absolut ist die Anzahl der zu Tode gequälten Tiere erschreckend hoch. 

 

Der Grund, warum Wiesenhof erfolglos versucht hatte, gerichtlich die Herausgabe der Schlachthofprotokolle zu verhindern, ist vermutlich ein anderer: Aktivist:innen der Bürgerinitiative KW stinkt's hatten vor dem Hintergrund geltender Informationsfreiheitsrechte Einsicht in die veterinäramtlichen Kontrollberichte betreffend der zu Wiesenhof gehörenden "Märkischen Geflügelhof-Spezialitäten GmbH" verlangt. Zunächst hatten sich die Aktivist:innen nur für die bereits vor der Schlachtung verendeten Tiere interessiert. Bald aber stießen sie auf eine brisante Information. Die Hygiene- und Kontrollberichte lassen nämlich auch den Rückschluss über die tatsächlich angelieferte tägliche Menge an Hühnern zu. Das zulässige Schlachtgewicht war 2019 laut einer ohnehin umstrittenen Genehmigung aus dem Jahr 2018 auf 352 Tonnen Lebendgewicht begrenzt. Genau diese Grenze aber hatte der Schlachthof 2019 statistisch an einem von sieben Schlachttagen überschritten. D.h. Wiesenhof schlachtet in Niederlehme nicht gelegentlich und versehentlich sondern dauerhaft und systematisch über der erlaubten Menge (Blackbox Wiesenhof, 2020).

Hintergrund: Vier Jahre Kampf gegen Wiesenhof

Seit Herbst 2016 macht sich die Bürgerinitiative KW stinkt's für einen Stopp der geplanten Erweiterung der Wiesenhof-Schlachtanlage "Märkische Geflügelhof-Spezialitäten GmbH" von 120.000 auf 230.000 geschlachtete Tiere täglich stark. Mit Erfolg, denn 2020 hatte das Verwaltungsgericht in Cottbus einem sogenannten Eilantrag der BI stattgegeben. Wiesenhof darf die Produktion - wie zuvor geschehen - bis zu einer Entscheidung über den Widerspruch im Hauptverfahren nicht weiter eigenmächtig erhöhen. Um den Widerstand gegen Wiesenhof weiterzuführen benötigt die Bürgerinitiative derzeit akut Geld für Gerichts- und Anwaltskosten. 


Quellen:

- Bovensiepen, N., Groß, S. & Jetzig, J. (2020, 11. Dezember). Tierquälerei bei Wiesenhof-Zulieferer. Süddeutsche.de. Abgerufen am 27.12.2020 von: https://projekte.sueddeutsche.de/artikel/politik/tierquaelerei-bei-wiesenhof-zulieferer-e904783/?reduced=true

 

- Kampagnenwebsite der Tierrechtsorganisation Animal Equality. Abgerufen am 27.12.2020 von: https://animalequality.de/kampagnen/huehnerleid

 

- Groß, S. (2020, 15. September). Tiertransporte: Hühner auf großer Fahrt. Süddeutsche.de. Abgerufen am 27.12.2020 von: https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/wiesenhof-tiertransporte-1.5031095?reduced=true

 

- Lange Geflügeltransporte zur Schlachtung. (2020, 14. September). Lange Geflügeltransporte auf dem Weg zur Schlachtung - ZDFmediathek. Abgerufen am 27.12.2020 von: https://www.zdf.de/verbraucher/wiso/gefluegel-transporte---wird-tierschutzgesetz-eingehalten-100.html

 

- Dassler, S. (2020, 22. Januar). Genickbruch ohne Betäubung : Tierschützer belasten Geflügelzüchter von Wiesenhof. Tagesspiegel. Abgerufen am 27.12.2020 von: https://www.tagesspiegel.de/berlin/genickbruch-ohne-betaeubung-tierschuetzer-belasten-gefluegelzuechter-von-wiesenhof/25457974.html

 

- Kampagnenwebsite SOKO Tierschutz. Abgerufen am 27.12.2020 von: https://www.soko-tierschutz.org/post/tierquälerei-für-wiesenhof

 

- SOKO Tierschutz / WISO Beitrag. Abgerufen am 27.12.2020 von:  https://www.soko-tierschutz.org/post/zdf-wisobeitrag

 

- Helmer, M. & Pecanic, A. (2020, 14. September). Lange Geflügeltransporte zur Schlachtung. Lange Geflügeltransporte auf dem Weg zur Schlachtung - ZDFmediathek. Abgerufen am 27.12.2020 von:  https://www.zdf.de/verbraucher/wiso/gefluegel-transporte---wird-tierschutzgesetz-eingehalten-100.html 

 

- SUPER.MARKT. (2020, 20. Januar). Wiesenhof: Verstoß gegen den Tierschutz. Rundfunk Berlin-Brandenburg, Berlin, Germany. Abgerufen am 27.12.2020 von: https://www.rbb-online.de/supermarkt/sendungen/20200120_2015/masthaehnchen-huhn-gefluegelproduktion-wiesenhof-phw-gruppe-verstoss-gegen-tierschutz-niederlehme.html

 

- Kleie, S. (2020, 20. Januar). Wiesenhof stellt Strafanzeige gegen Brandenburger Landwirt. rbb-online, Rundfunk Berlin-Brandenburg, Berlin, Germany. Abgerufen am 27.12.2020 von: https://www.rbb24.de/wirtschaft/beitrag/2020/01/gefluegelproduzent-wiesenhof-strafanzeige-gegen-landwirt-tierwoh.html

 

- Racoon. (2020, 1. Mai). Das übliche Grauen in den Mastanlagen von WIESENHOF: Aktuelles Recherchematerial von SOKO Tierschutz e.V. aus einer Wiesenhof-Mastanlage in Zernsdorf. Gemeinsam Gegen Die Tierindustrie. Abgerufen am 27.12.2020 von: https://gemeinsam-gegen-die-tierindustrie.org/das-uebliche-grauen-in-den-staellen-von-wiesenhof-aktuelles-recherchematerial-von-soko-tierschutz-e-v-aus-einer-wiesenhof-mastanlage-in-zernsdorf/

 

- Bürgerinitiative KW stinkt’s. (2020, 24. November). Blackbox Wiesenhof: Fleischkonzern überschreitet regelmäßig zulässige Kapazitätsgrenze. KW stinkt’s. Abgerufen am 27.12.2020 von: https://kw-stinkts.de/blackbox-wiesenhof-fleischkonzern-ueberschreitet-regelmaessig-zulaessige-kapazitaetsgrenze/

 

 

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Kommentare: 1
  • #1

    Ilona Wegan (Mittwoch, 30 Dezember 2020 08:48)

    Es ist alles eine Frage des Preises. Die Industrie bestimmt den PREIS für die Ware. Es ist grauenvoll das rücksichtslos mit LEBENDEN Tieren so ,, produziert" werden damit die Profitgier von der Industrie auf Kosten der Natur und Tiere befriedigt wird.