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Mit Reisepässen Geld erpresst: Wie das Assad-Regime die syrische Bevölkerung beraubt

Eine Lektüreempfehlung von Jens-Martin Rode

Protest gegen Pass-Regelung in Berlin: deutsche Behörden schicken Geflüchtete aus Syrien zur Botschaft von Assad, um syrische Reisepässe neu ausstellen zu lassen.
Foto: Klaus Ihlau

Mit seinem Ende Januar 2019 veröffentlichten zehnseitigen Bericht "The Syrian Regime Uses Passports’ Issuance to Finance Its War and Humiliate Its Opponents" zeigt das syrische Menschenrechtsnetzwerk Syrian Network for Human Rights (SNHR) auf, wie das syrische Regime von Baschar al-Assad die konsularischen Hoheitsrechte des Landes ausnutzt, um die syrische Bevölkerung mit hohen Gebühren materiell zu enteignen und fundamentaler Rechte zu berauben. Systematisch nutzt das Regime astronomische Gebühren für die Ausstellung von Personaldokumenten, um an Devisen für die Finanzierung des Krieges zu kommen und gleichzeitig wieder vollständige Kontrolle über alle Lebensbereiche syrischer Bürgerinnen und Bürger auszuüben. Dieser Raubzug wird international betrieben und belegt erneut, dass eine Normalisierung der politischen und ökonomischen Beziehungen der internationalen Staatengemeinschaft zum syrischen Staat nicht möglich ist, solange das Regime von Assad an der Macht ist.

Ein Volk auf der Flucht wird systematisch erpresst

Das immense Ausmaß an Verbrechen gegen die Menschlichkeit, welche im Zuge der Niederschlagung des Aufstands gegen das Regime von Baschar al-Assad seit 2011 verübt worden sind, hat Millionen von Syrerinnen und Syrern zur Flucht gezwungen. Ein Großteil von ihnen wurde innerhalb Syriens sogar mehrfach vertrieben. Mehrere Millionen haben aber auch Schutz in benachbarten Ländern gesucht oder sich auf den Weg nach Europa gemacht.

 

Neben vielen anderen Schwierigkeiten, denen sie gegenüberstehen, werden sie auch immer wieder vor die Notwendigkeit gestellt, im Besitz gültiger Pässe zu sein. Der Bericht des SNHR zeigt auf, wie das syrische Regime diese Situation ausnutzt, um die eigene Bevölkerung um hohe Geldsummen zu erpressen. Der Bericht beruht auf dutzenden Interviews mit Betroffenen innerhalb und außerhalb Syriens. Das SNHR präsentiert dabei vier Fälle im Detail, welche exemplarisch das Problem zahlloser weiterer Fälle illustrieren.     

Mafiöse Netzwerke und staatliche Erpressung

Nach dem im März 2011 begonnenen Aufstand hat das syrische Regime schnell die Möglichkeit genutzt, über die Regularien bei der Vergabe von Reisepässen Druck auf und Kontrolle über die eigene Bevölkerung auszuüben. Die Art und Weise, wie das Regime vorgegangen ist, hat sich im Lauf der Zeit durchaus geändert. Das Vorgehen lässt sich grob in zwei Phasen einteilen:

 

Bis April 2015 hatte das Regime eine Doppelstrategie verfolgt: Alle Syrerinnen und Syrer, die einen Pass beantragten, wurden zunächst einer intensiven Sicherheitsüberprüfung durch die Geheimdienste unterzogen. Wer ab 2011 an den Protesten gegen Assad teilgenommen hat, wurde somit der Möglichkeit beraubt, auf offiziellem Weg an Personaldokumente zu kommen. Zugleich aber hat das Regime selbst innerhalb Syriens ein mafiaähnliches System geschaffen, inoffiziell an die benötigten Dokumente zu kommen. Bei Preisen von 5.000 US-Dollar auf dem Schwarzmarkt flossen auf diese Weise hunderte Millionen Dollar in die Netzwerke regimetreuer Milizen.

 

Vermutlich kam es aber zu Spannungen zwischen dem syrischen Sicherheitsapparat und den mafiösen Netzwerken. Am 21. April 2015 veröffentlichte das Regime die Gesetzesverordnung Nr. 17 von 2015, welche es innerhalb Syriens nun allen Syrerinnen und Syrern, unabhängig davon, ob sie der Opposition oder dem Regime nahestehen, ermöglichen sollte, in den Besitz von Reisepässen zu kommen. Die selben Regeln sollten auch für diejenigen gelten, die illegal das Land verlassen hatten. Für die Neuausstellung eines Passes legte das Regime Gebühren von 400 $  und für die Verlängerung um zwei Jahre 200 $ fest. 

 

Im März 2017 wurde das Verfahren zur Ausgabe von Pässen mit der Verordnung Nr. 18 erneut geändert. Für die Express-Ausstellung wurde eine Gebühr von 800$ festgesetzt, während für den normalen Vorgang 300$ veranschlagt wurden. Ein Pass sollte dabei bei Expressausstellung in drei oder bei normaler Bearbeitung in maximal 20 Werktagen fertig sein. Das Regime wollte mit diesem Vorgehen sicher stellen, das die extrem hohen Gebühren allein in die eigenen Kassen fließen. Bei Menschen, die der Opposition zugeordnet wurden, verlängert das Regime die Pässe lediglich um zwei Jahre. Da viele Länder aber bei Einreise einen Pass verlangen, der noch mindestens ein halbes Jahr gültig ist, sind Syrerinnen und Syrer somit gezwungen, alle 18 Monate ihren Pass erneuern zu lassen.  

Druck und Erpressung mit einem Stück Papier

In der Realität nutzt das Regime aber nach wie vor die Herausgabe von Pässen, um zusätzlich starken Druck auf die Bevölkerung auszuüben. Wer einen Pass beantragt, wird zuerst einer Sicherheitsüberprüfung unterzogen. Die Namen werden mit der langen Liste gesuchter Personen abgeglichen, welche im Verdacht stehen, sich an den Protesten seit 2011 beteiligt zu haben. Bei Männern im Alter zwischen 20 und 42 Jahren überprüft das Regime zudem, ob sie ihren Wehrdienst abgeleistet haben. Aufgrund schwerster Verbrechen gegen die Menschlichkeit und unzähliger Menschenrechtsverbrechen der syrischen Armee gegen die eigene Bevölkerung, hatten hunderttausende junger Männer den Dienst in der Armee verweigert und sind desertiert. All jene haben folglich kaum eine Chance, gültige Pässe zu erhalten.

 

Insgesamt hat das SNHR 1.249 Fälle innerhalb Syriens dokumentiert, bei denen Menschen im Zusammenhang mit der Regelung ihrer Passangelegenheiten verhaftet worden sind. Darunter sind 8 Kinder und 138 Frauen. Vier dieser Fälle listet der Bericht des SNHR exemplarisch für unzählige andere auf, bei denen Schicksal und Verbleib der Person unbekannt sind. Das SNHR hat verschiedene Fälle dokumentiert, bei denen Pässe für ungültig erklärt oder konfisziert worden sind, wenn die entsprechende Person der Opposition zugeordnet wurde. Doch nach dem Erlass der Verwaltungsvorschrift Nr. 17 von 2015 sind diese Fälle signifikant zurück gegangen. Das ist ein starkes Zeichen dafür, dass es dem Regime seit dem vor allem darum geht, an Devisen zu kommen. Zudem gibt es zahlreiche Fälle, bei denen die AntragstellerInnen nicht einmal eine Quittung für das entrichtete Geld ausgestellt bekommen haben.

 

In der Praxis jedoch hat das Regime das Passwesen nicht in allen Aspekten monopolisiert. Bei Auslandsvertretungen, wie z.B. in der Türkei haben sich inoffizielle Vermittler im Umfeld der Botschaft niedergelassen, welche für das Arrangement eines raschen Termins in der Botschaft nochmals Bestechungsgelder in Höhe von 250 - 500 $ verlangen. Das Regime profitiert davon, denn Antragstellerinnen sind vor die Wahl gestellt, das Expressverfahren für 800 $ zu wählen, oder real 2 oder 4 Monate auf die Papiere zu warten.

Keine Zusammenarbeit mit dem Regime von Assad!

Das Regime von Baschar al-Assad verletzt durch dieses Vorgehen Rechte und Würde der syrischen Bevölkerung in immensen Ausmaß. Dieser Raubzug ist einer von vielen Gründen, warum es mit dem Regime von Assad keine Zukunft für Syrien gibt. Deshalb unterstreicht das SNHR seinen Bericht mit klaren Forderungen:

  • Das syrische Regime muss die räuberische Erpressung sofort beenden und syrischen Bürgerinnen und Bürgern einen Pass für eine angemessene Gebühr für nicht mehr als 20 $ anbieten.
  • Das syrische Regime muss die Zusammenarbeit mit mafiösen Netzwerken im Umfeld der Botschaften sofort einstellen.
  • Ressourcen des syrischen Staates sowie dessen Institutionen sind für das Wohlergehen der Bürgerinnen und Bürgern da. Das syrische Regime muss sofort aufhören, diese zur Finanzierung des Krieges gegen eine Bevölkerung zu missbrauchen, die einen fairen und demokratischen politischen Übergang fordert.
  • Die internationale Gemeinschaft wird aufgefordert, Druck auf das Regime von Assad und seine Alliierten auszuüben, den Preis für die syrischen Pässe zu reduzieren.
  • Die Art und Weise, wie das syrische Regime mit den Bürgerinnen und Bürgern des Landes verfährt, zeigt, dass es für Syrien keine Alternative zu einem Übergang zu einem gerechten demokratischen politischen System gibt. Die internationale Gemeinschaft muss der syrischen Bevölkerung bei diesem demokratischen Übergang zur Seite stehen.
  • Jeder Versuch, das Regime zu rehabilitieren und die ökonomischen und politischen Beziehungen zu normalisieren, bedeutet eine direkte Unterstützung für ein mörderisches repressives Regime, dass der Bevölkerung fundamentale Rechte raubt.

Gerade für Deutschland gilt: Stoppt das Regime von Baschar al-Assad!

Die im Bericht vom SNHR aufgezeigte Erpressung und Enteignung der syrischen Bevölkerung betrifft unmittelbar auch das Leben der vielen hunderttausend Syrerinnen und Syrer in Deutschland. Sowohl die Bundes- als auch die einzelnen Landesregierungen haben die Wahl, ob sie das verbrecherische Regime von Assad bei der Entwürdigung und Enteignung der syrischen Bevölkerung unterstützen, oder ob sie die Würde des Menschen und fundamentale Rechte voranstellen.

 

In Deutschland gilt für alle Ausländerinnen und Ausländer die Passpflicht. Wer sich in Deutschland aufhält, muss im Besitz gültiger Personaldokumente sein. Wenn die Gültigkeit eines Passes abläuft, müssen Ausländerinnen und Ausländer sich einen gültigen Pass bei der Botschaft des Heimatlandes besorgen. Wer allerdings als anerkannter Flüchtling vor der Verfolgung durch den eigenen Staat in Deutschland Schutz sucht, kann von der jeweiligen Ausländerbehörde einen Reisepass für Ausländer als Ersatzpass ausgestellt bekommen. Doch der Teufel liegt hier im Detail: Geflüchtete, die bei der Asylanhörung nicht den Flüchtlingsstatus zugesprochen bekommen, sondern z.B den "subsidiären" Status erhalten, müssen zu ihrer Botschaft gehen, wenn sie neue Pässe bekommen wollen. Anderenfalls müssen sie jeweils für ihren individuellen Fall nachweisen, dass ein Besuch der Botschaft unzumutbar ist. In vielen Fällen jedoch erkennen die Behörden in Deutschland die Nachweise nicht an. Faktisch werden so Geflüchtete aus Syrien gezwungen, hohe Geldzahlungen an ein Regime zu leisten, welches oftmals Menschen aus dem unmittelbaren persönlichen Umfeld ermordet hat, oder ohne gültige Pässe zu leben.

 

In Deutschland verlangt die syrische Botschaft in Berlin von ihren Landleuten nach offiziellen Angaben zwischen 255 und 725 Euro. Dazu kommen wegen der obligatorischen persönlichen Vorsprache noch Kosten für die Anreise und Übernachtung. Die Bundesregierung sieht kein Problem in dieser Erpressung und hält diese Beträge laut Antwort auf zwei parlamentarische Anfragen jeweils von Linken und Bündnis 90/die Grünen im Bundestag für angemessen und den Gang zur Botschaft für zumutbar. 

 

Jetzt ist die Zivilgesellschaft in Deutschland gefragt, sich mit den Betroffenen zu solidarisieren und Druck auf die Regierungen von Bund und Ländern auszuüben. Anstatt sich mit formaljuristischer Korrektheit hinter dem deutschen Aufenthaltsrecht und der vermeintlichen Souveränität des syrischen Staates zu verstecken, könnte die Bundesrepublik Deutschland mit wenig Aufwand dem Regime von Assad den Zugriff auf syrische Mitbürgerinnen und Mitbürger unmöglich machen, indem sie Geflüchteten aus Syrien unkompliziert und unbürokratisch Ersatzdokumente anbietet, solange das Regime an der Macht und kein demokratischer Übergang zu einer legitimen Regierung in Sicht ist. Dieses kraftvoll einzufordern ist eine Pflicht vor allem für unsere Mehrheitsgesellschaft. 

Das SNHR zählt als renommiertes Menschenrechtsnetzwerk zu den wichtigsten zivilgesellschaftlichen Akteuren in Bezug auf Syrien. Seine Berichte gehören zu den zuverlässigsten Quellen zum Geschehen in Syrien überhaupt. Sie sind eine wichtige Grundlage für die spätere Strafverfolgung von Massenverbrechen und die Arbeit der Justiz nach der Ablösung des Assad-Regimes durch eine legitime Übergangsregierung.

SNHR Bericht zum download:

Das SNHR stellt den zehnseitigen Bericht zum Download bereit:


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