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Die vom Sturm ernten - Ein Kommentar zu Michael Lüders neuem Syrien-Buch

Eine Buchkritik von Jens-Martin Rode. Dieser Beitrag erschien ursprünglich am 26. April 2016 in dem gleichnamigen aber stillgelegten wordpress-blog "blogbuchstaben kreuz und quer" und wird hier erneut veröffentlicht.

Kaum einer der sogenannten “Syrienexperten” schafft es so häufig in die Spalten der Tageszeitungen und Rundfunksendungen, wie Michael Lüders. Anlässlich des Giftgaseinsatzes in der syrischen Ortschaft Chan Scheichun am 4. April 2017 war er wieder ein gefragter Gesprächspartner in Talkshows. Mit seinem neuen Buch “Die den Sturm ernten” versucht er, sechs Jahre nach Beginn der syrischen Revolution, die Debatte um den Krieg in Syrien neu zu beleben. Doch der Beitrag, den Lüders auf den Markt wirft, hat vor allem eine hohe Auflage zum Ziel. Inhaltlich bleibt das Buch dünn und bietet einen recht oberflächlichen und erschreckend eindimensionalen Zugang zum Thema.

 

Regimechange ist immer und überall

 

Die derzeitige Katastrophe in Syrien ist das Ergebnis einer westlichen Regimechange-Politik und eines von langer Hand geplanten Umsturzes gegen die Regierung des syrischen Präsidenten Baschar al-Assad. Davon ist Michael Lüders so sehr überzeugt, dass er weit ausholt und die lange Geschichte der tatsächlichen und vermeintlich vom US-amerikanischen Geheimdienst CIA geplanten und durchgeführten Staatsstreiche referiert. Bereits seit den 50’er Jahren, so Lüders, arbeiten die Amerikaner als führende Nation der westlichen Welt daran, Regierungen, die der eigenen Politik im Wege stehen, zu beseitigen. So wurde Syrien bereits Mitte der 50‘er Jahre das Ziel von Umsturzplänen, die seit dem als Blaupause benutzt wurden, um entweder den Einfluss der Sowjetunion im Kalten Krieg einzudämmen, oder die Position im weltweiten Kampf um die Ölvorräte zu verbessern.   

 

Dieser Grundgedanke zieht sich durch das gesamte Buch und wird Kapitel für Kapitel durchdekliniert. Der heutige Krieg in Syrien erscheint so nicht nur als das Ergebnis einer jahrzehntelangen Politik, sondern vor allem als Produkt einer mindestens seit der Ära von Georg W. Bush ganz konkret geplanten Umgestaltung der arabischen Welt. Die Belege, die Lüders für seine Thesen anführt, sind altbekannt und stammen z.B. aus den Erinnerungen des ehemaligen NATO Oberbefehlshabers in Europa, Wesley Clark. Dieser gibt an, die Regierungsadministration von George Bush Senior hatte bereits unmittelbar nach dem Krieg gegen den Irak 1991 festgestellt, es gäbe ein Zeitfenster von nur wenigen Jahren, sich in der Region substanziell einzumischen, ohne von einer weiteren Supermacht dabei aufgehalten zu werden. Nach dem 11. September 2011 hatte Georg W. Bush die Politik seines Vaters konsequent fortgeführt und eine Reihe von “Schurkenstaaten” definiert, die in den kommenden Jahren angegriffen werden sollten.

 

Die heutigen Ereignisse in Syrien stünden damit in einer Reihe. So habe der amerikanische Geheimdienst CIA bereits unmittelbar nach dem Sturz von Gaddafi 2011 angefangen in Libyen Waffen einzusammeln und über die Türkei an syrische Dschihadisten zu liefern. Etwaige Pläne, Umstürze in Syrien zu provozieren, hätte es bereits wenige Jahre vor 2011 gegeben. Und immer ging es dabei natürlich um Geopolitik und Rohstoffe. Denn Assad hatte sich bereits 2009 dem strategisch wichtigen Bau einer Gaspipeline von Katar über Syrien Richtung Europa verweigert und einem entsprechenden Iranischen Projekt den Zuschlag gegeben. Daraufhin habe - so seien Äußerungen des ehemaligen Französischen Außenministers Roland Dumas zu verstehen - Großbritannien auszuloten versucht, ob Frankreich Interesse an einer derartigen Aktion gegen Syrien hätte.

 

Der Westen sei von den derzeitigen Entwicklungen eines sich in Irak und Syrien festsetzenden Islamischen Staates keineswegs überrascht. So haben Lageberichte des amerikanischen militärischen Auslandsgeheimdienstes DIA bereits 2012 die sich entwickelnde Lage vorgezeichnet. Ab 2013 habe man dann mit der Gründung der “Freunde Syriens” die Waffenlieferungen an Dschihadisten institutionalisiert und auch die Zusammensetzung der Syrischen Auslandsopposition so gewählt, dass islamistische Gruppen ausreichend repräsentiert seien. Die Existenz einer “gemäßigte Opposition” sei eine vollkommene Illusion. Der islamistische Terror, wie er derzeit existiere, sei “born in the USA” und ließe sich auf die Destabilisierung des Irak nach der US Invasion 2003 zurückführen. Der Staatszerfall und der sunnitisch-schiitische Gegensatz, der daraufhin gewaltsam ausgetragen wurde, sei der eigentliche Grund für die Entstehung der mit al-Qaida verbundenen Vorläuferorganisationen des heutigen “Islamischen Staates”.

 

Einen absoluten Höhepunkt erreicht der von Lüders gesponnene Handlungsfaden mit den Schilderungen der Hintergründe rund um die Chemiewaffenangriffe am 21. August 2013 auf die von Oppositionellen gehaltenen Ortschaften Muadamija und Ost-Ghouta. Die Angriffe mit vielen hundert Toten seien nicht vom syrischen Regime begangen worden, sondern das Ergebnis einer “fals-flag-Operation” des türkischen Geheimdienstes in Zusammenarbeit mit der al-Nusra-Front. Erdogan habe für den Regimewechsel in Damaskus einen Kriegseintritt der USA provozieren wollen. Nachdem Obama 2012 die berühmte “rote Linie” hinsichtlich der syrischen Chemiewaffen gezogen hatte, lieferte der türkische Geheimdienst das Sarin an die Dschihadisten. Obama habe den bereits angekündigten Angriff auf Syrien dann aber abgebrochen, nachdem seine eigenen Geheimdienste ihn davon überzeugen konnten, dass Assad voraussichtlich nicht hinter dem Massaker stünde. Denn der britische Geheimdienst sei mittlerweile in den Besitz von Sarinproben gelangt, die hinsichtlich der chemischen Zusammensetzung eindeutig nicht in das Arsenal des Regimes in Damaskus passten. Obama habe unter der ausgehandelten Bedingung einer Vernichtung des syrischen Chemiewaffenprogramms auf einen Angriff verzichtet. Zudem gäbe es zahlreiche Erkenntnisse, dass die al-Nusrafront bereits im Lauf des Jahres in den Besitz von Sarin gelangt sein könnte. So seien im Sommer 2013 Personen in der Türkei festgenommen worden, die sich auf einer Art Einkaufstour hinsichtlich Sarin oder der Zutaten für Sarin befunden hätten. Dazu gäbe es umfangreiche Akten der Staatsanwaltschaft in der Türkei. Die Verdächtigen seien aber auf Anweisung von Erdogan wieder auf freien Fuß gesetzt worden.

 

Aufschlussreich ist auch das Kapitel über die Wiedereroberung von Ost-Aleppo durch die Verbündeten des Syrischen Regimes. Hier geht es Lüders nicht um eine stringente Schilderung der Ereignisse oder eine Art Analyse. Lüders greift sich Bruchstücke aus dem Geschehen heraus und versucht sie jeweils zu gewichten, in dem er eine Vergleichsebene konstruiert. Am Beispiel des syrischen Jungen Omran, dessen Bilder nach einem Luftangriff im August 2016 um die Welt gingen, problematisiert Lüders nicht etwa die Tatsache, dass täglich dutzende Fassbomben auf die Zivilbevölkerung in Aleppo regnen. Lüders skandalisiert die Arbeitsweise des Photographen, der die Bilder gemacht hat. Dieser sei als Mitarbeiter eines oppositionellen und vom Westen unterstützten Medienbüros auf anderen Bildern zusammen mit Personen zu sehen, denen eindeutig Gräueltaten zuzuordnen seien. Somit stünden nach Lüders die westlichen Medienpartner und eigentlich die westliche Syrienberichterstattung insgesamt in Misskredit. Nach diesem Muster geht es weiter. Die Fassbomben werden mit den “Hellfire”-Raketen der Dschihadisten aufgerechnet und das Handeln des Regimes oder Russlands wird mit der Eroberung von Mossul gleichgesetzt. Hier weiß Lüders Zahlen und Fakten zu referieren. Die dramatischen Ereignisse der Vertreibung der Bewohner aus Ost-Aleppo im Dezember 2016 wird mit dem Verweis abgetan, dass auch Rebellen ja schließlich Dörfer aushungerten.

 

Wer nur einen Hammer als Werkzeug hat, für den ist jedes Problem ein Nagel

 

Auffällig an den Buch ist die Herangehensweise. So leitet Lüders sein Buch ein mit dem Satz: “Kriege werden erzählt, nicht anders als Geschichten. Die jeweiligen Erzählungen bestimmen das Bild in unseren Köpfen, unsere Sicht auf Konflikte.” Um eine Erzählung zum Syrienkrieg zu erschaffen, muss Lüders weit ausholen. Dabei besteht der Deutungsrahmen, in den er die heutigen Ereignisse hineinpasst, durchaus aus Tatsachen. Weil der Westen und insbesondere die USA bereits zuvor missliebige Regime gestürzt hatten, so müsse das derzeitige Drama in Syrien ebenfalls auf das Betreiben der US Politik zurückzuführen sein.

 

Vieles an dem, was Lüders anführt, mag stimmen. Doch im Ergebnis liefert er eine stark vereinfachte monokausale Erklärung. Vollkommen außer Acht lässt er dabei das Handeln des Syrischen Regimes selbst. Assad scheint kein relevanter Akteur in dem Geschehen zu sein. Die syrische Opposition besteht nach Lüders ausschließlich aus vom Westen hochgerüsteten Dschihadisten. Eine Zivilgesellschaft, oder die syrische Revolution, welche den Aufstand gegen Baschar al-Assad erst in Gang gebracht hatte, sind für Lüders schlicht und einfach inexistent. Ebenso fehlen die innersyrischen gesellschaftlichen Faktoren, die zu einer Erhebung gegen die Despotie erst geführt haben.

 

Lüders ist ein Sekundärliterat, der lediglich die Literatur anderer in selektiver Auswahl verarbeitet. Nirgendwo zeigt sich, dass die Ausführungen Lüders auf intensivem Quellenstudium, einer nachvollziehbaren Methodik oder einer fundierten Analyse beruhen. Lüders schreibt ab. Besonders augenfällig wird dies in dem Kapitel über die Giftgasangriffe auf Ost-Ghouta 2013. Die Quellenlage zu diesem Verbrechen, etwa die Berichte der UN Untersuchungskommissionen oder die von Menschenrechtsorganisationen ignoriert Lüders ebenso wie den seit 2013 bestehenden Diskurs zu diesem Thema. Das einzige, was Lüders zu referieren weiss, ist die bereits seit Jahren vielfach entkräftete Verschwörungstheorie des amerikanischen Investigativjournalisten Seymour Hersh von 2014.

 

Zu zeigen, warum die Theorie von Seymour Hersh falsch ist, ist zentral, weil sie - auch dank Autoren wie Lüders - in Syriendiskussionen ein hartnäckiges Eigenleben führt. Die Behauptung, Obama hätte auf einen Militärschlag gegen Syrien verzichtet, weil seinen Geheimdiensten eine Probe des eingesetzten Kampfstoffes zugespielt worden sei, die anhand der chemischen Zusammensetzung belege, dass das Gas nicht aus dem Arsenal von Assad stammen könne, ist falsch. Richtig ist, dass der offizielle UN Bericht der “independent international commission of inquiry on the Syrian Arab Republic” vom 12. Feb. 2014 davon ausgeht, dass das Sarin mit hoher Wahrscheinlichkeit aus dem Arsenal der syrischen Armee stammt. Die Probe, die über den britischen Geheimdienst auch an den US amerikanischen ging, stammt auch nach Seymour Hersh aus russischer Quelle. Diesen entscheidenden Faktor verschweigt Lüders aber. Selbst wenn Akteure aus dem Umfeld der al-Nusra-Front über den türkischen Geheimdienst in der Türkei an Sarin oder dessen Zutaten gelangt sein sollten, ist dies noch kein kausaler Beweis dafür, dass eben diese Akteure es waren, die das Sarin als “false-flag-Operation” nahe Damaskus eingesetzt haben. Dies ist wilde Spekulation. Für die Ausführungen von Seymour Hersh gibt es zudem keine nachprüfbaren Belege. Alle Angaben stammen aus dem Hörensagen von namentlich nicht genannten Quellen aus der ominösen Sphäre der Geheimdienste.

 

Das Buch von Lüders ist ein guter Überblick darüber, was an “alternativen Fakten” zu Syrien Konjunktur hat. Als wissenschaftlicher Autor oder “Experte” ist Lüders mit einer derartigen Herangehensweise allerdings erledigt. Darauf kommt es dem Autor aber auch nicht an. Er schreibt das, was sein Publikum lesen möchte, um mit hoher Auflage Kasse zu machen. Dabei beschert ihm die syrische Tragödie reiche Ernte.

 

Fazit: Bullshitfaktor 4 von 5 (es geht noch schlimmer)

 

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