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Mörder, die wie Bäume in den Straßen wachsen

Eine Buchempfehlung von Jens-Martin Rode. Dieser Beitrag erschien ursprünglich am 07. Januar 2014 in dem gleichnamigen aber stillgelegten wordpress-blog "blogbuchstaben kreuz und quer" und wird hier erneut veröffentlicht.

Samar Yazbek, Schrei nach Freiheit – Bericht aus dem Inneren der syrischen Revolution, München 2013

Der Schrei nach Freiheit der syrischen Schriftstellerin Samar Yazbek bleibt bisher ungehört. Auch drei Jahre nach Beginn der syrischen Revolution für Freiheit und Würde geht das Morden des Regimes von Baschar al Assad unaufhaltsam weiter. Doch die Welt schaut zu und schweigt. Mit ihren tagebuchartigen Aufzeichnungen ist Samar Yazbek ist eine atmosphärisch dichte und bedrückende Chronologie der Ereignisse der ersten Revolutionswochen und -monate gelungen. Gerade jetzt – vor dem dritten Jahrestag des Aufstands im März 2014 – ist das Buch ein absolutes „Muss“ für alle, die sich für das Thema Syrien interessieren. Das Buch ist eine hervorragende Quelle und ein außerordentliches Zeitdokument.

 

„Ich war nicht vorbereitet auf dieses ungeheure Ausmaß an Gewalt. Nicht Gewalt im übertragenen Sinne, wie ich sie selbst erfahren habe, als man mich Verräterin schimpfte und meinen Ruf ruinierte. Nein, ich meine Gewalt im konkreten realen Sinn. Ich wusste nicht, dass die Mörder wie Bäume in den Straßen wachsen.“

 

Der 2013 mit einem Vorwort von Rafik Schami bei dtv in der Taschenbuchausgabe erschienene „Bericht aus dem Inneren der syrischen Revolution“ zeichnet detailliert Eindrücke von den Ereignissen der ersten Wochen und Monate der Revolution nach. Grundlage bieten die Aufzeichnungen eines Tagebuches, welches die Autorin in dieser Zeit führt. So werden Gedanken, Ereignisse und Berichte geschildert anhand chronologischer Eintragungen zwischen dem Beginn der Revolution im März und der unvermeidlich gewordenen Ausreise im Juli 2011.

 

Samar Yazbek nimmt es auf sich, genau zu beobachten, festzuhalten und zu berichten, was in Syrien in diesen Tagen geschieht. Dabei geht sie auf die Straße, fährt Taxi und besucht die Orte des Geschehens. So wird sie zur Zeugin der unermesslichen Brutalität, mit der das Regime bereits zu Beginn des Aufstands versucht, der Lage Herr zu werden. Eingewoben in die Schilderung sind insgesamt 16 ausführliche Berichte von Zeuginnen und Zeugen, die sie als Transkripte von Aussagen in die Schilderung einarbeitet. Das macht das Buch zu einem wertvollen Quellenband und einem Zeitdokument.

 

„Wie wird der menschliche Körper zu einer Tötungsmaschine? Die Hände, die Augen, das Haar, der Kopf. All diese Körperteile, die aussehen, wie deine – wie verwandeln sie sich in riesige Fühler und lange Stoßzähne? Einfach so, in einem einzigen Augenblick, verwandelt sich die Realität in eine groteske Phantasie. Die Realität ist dann aber noch grausamer. Es heißt, für das Schreiben eines Romans braucht man Phantasie, und ich sage, man braucht vor allem die Realität. Was wir in unseren Romanen schreiben, ist weniger grausam als das, was auf dem Boden der Wirklichkeit geschieht.“

 

Samar Yazbek ist Schriftstellerin und Journalistin. Die 1970 in der syrischen Küstenstadt Dschabala geborene Autorin hatte bereits Romane und Erzählungen veröffentlicht und für das Fernsehen gearbeitet. Als im Frühjahr 2011 in Syrien die Revolution ausbricht, träumt sie davon, einen Roman zu schreiben. Statt dessen verdichtet sie die Ereignisse um sie herum in einem Tagebuch, aus dem sie in den folgenden Wochen ihre Gedanken preis gibt. Leserinnen und Leser werden so zu Teilhabern nicht nur der Geschehnisse der Revolution, sondern auch der inneren Dialoge und Kämpfe, mit denen Sie versucht, dem immer größeren Druck stand zu halten.

 

„Ungefähr zehn Minuten hatte die Demonstration gedauert, dann waren die Frauen geschlagen und getreten worden. Eine Frau war verletzt, eine verhaftet, viele aber hatten der Sicherheit entkommen können. Aber sie hatten die Plakate mit ihren Forderungen in die Höhe gehalten! Besser kann es für eine Demonstration in Damaskus gar nicht laufen. Militärische Checkpoints, Barrikaden aus Panzern, Sicherheitskräfte, Schläger und Mörder – all das, um sich ein paar Menschen entgegen zu stellen, die unbewaffnet und nur mit der Forderung nach Freiheit auf die Straße gehen. Ich kehrte verbittert und enttäuscht nach Hause zurück, aber ich war glücklich darüber, dass wir wenigstens einige Minuten dort ausgeharrt hatten, um dem Regime zu sagen, was wir wollten.“

 

Das unglaubliche Ausmaß an Brutalität – und das Entsetzen darüber – zieht sich wie ein roter Faden durch die einzelnen Stationen ihres Berichts. Sie nimmt die Leserinnen und Leser mit zu den Schauplätzen des Geschehens. Die atmosphärisch dichten und genauen Beobachtungen führen vorbei an Straßensperren, Demonstrationen, den allgegenwärtigen Sicherheitskräften und den unzähligen Momenten, in denen Menschen Schlägen, Schüssen, Verhaftungen und Folter schutzlos ausgeliefert sind. Doch das Regime agiert nicht nur mit stumpfer Gewalt. Immer wieder kommt auch die besondere Raffinesse zum Tragen, mit der Gerüchte gestreut werden und Zwietracht zwischen den unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen gesät wird.

 

Durch ihre Aufzeichnungen wird so auch Samar Yazbek vor persönliche Umbrüche und Entscheidungen gestellt. Als Mitglied der syrischen Minderheit der Alawiten steht sie unter besonderer Beobachtung. Hatte es doch Hafiz al Assad – der Vater des jetzigen Präsident – verstanden, Teile der Minderheit, aus der er selbst stammt, zur führenden Elite in Syrien zu machen. Sich gegen die Herrschaft des Regimes zu stellen hat somit für Samar Yazbek unmittelbare Konsequenzen. So gerät sie schnell in das Visier eines der Geheimdienste und ist bald der persönlichen Nachstellung eines der Offiziere ausgeliefert. Die bedrückendste Szenen des Buchens ist der Bericht über eine Vorladung zum Zweck der Einschüchterung. Diese gipfelt in einer Exkursion in eines der zahlreichen Folterkeller der syrischen Geheimdienste.

 

Doch auch eine andere Seite der Revolution kommt in ihren Aufzeichnungen zum Tragen: Der Mut der Menschen, die dennoch täglich auf die Straße gehen und friedlich demonstrieren. Dabei lernt die Opposition dazu und fängt an, sich in lokalen Komitees zu organisieren, die das Rückgrat des Aufstands bilden. So ist der Bericht von Samar Yazbek auch ein Zeugnis für den zivilen Widerstand als Zentrum und Motor der Revolution. Der Druck auf die Autorin nimmt stetig zu. Am Ende sieht sie sich gezwungen, Syrien zu verlassen und nimmt ihre Aufzeichnungen mit sich.

 

Der „Schrei nach Freiheit“ trifft Leserinnen und Leser mit einer Wucht, wie sie kaum ein Buch entfalten kann. Die feinfühlige und poetische Übersetzung von Larissa Bender erzeugt dabei eine Spannung und eine sprachliche Kraft, die unter die Haut geht. Man gäbe viel darum, es wäre ein Roman. Zur Zeit der Niederschrift lässt sich noch nicht erahnen, dass das Regime drei Jahre später noch immer an der Macht sein wird und dabei jedes nur erdenkliche Maß an Brutalität aufbringt, um an der Macht zu bleiben. Auch der Widerstand beginnt erst, sich langsam zu militarisieren, bevor sich die Spirale der Gewalt immer weiter und weiter dreht. Noch gibt es keine islamistischen Gruppen, die sich dort ausbreiten, wo das Regime nicht mehr präsent ist. Auch war nicht vorhersehbar, dass die gesamte Weltgemeinschaft dem entsetzlichen Geschehen apathisch zusehen oder den eigenen Interessen unterordnen wird. Doch auch 100.000 Tote später hat das Buch nichts an Aktualität verloren. Denn es bringt in Erinnerung, was auch heute noch gilt:

 

„Dies ist eine Revolution um der Würde der Menschen willen. Dies ist der Aufstand eines unterdrückten Volkes, das sich von seiner Erniedrigung befreien will.“

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